Molekül des Monats - α-Latrotoxin

Am 12. November 1933 ließ sich Allan Blair, Professor an der medizinischen Fakultät der Alabama Universität, mutiger Weise von einer Schwarzen Witwenspinne beißen, um zu ergründen, ob ein Biss vor den Folgen weiterer Bisse schützen könne. Die darauffolgenden unerträglichen Schmerzen ließen ihn jedoch jegliches Interesse an der Fortsetzung seiner Studien verlieren. Glücklicherweise ist der Biss der schwarzen Witwe, wenngleich unglaublich schmerzhaft, selten mit ernsthaften Komplikationen verbunden.

Die Schwarze Witwe, ein Genus von Spinnen mit dem wissenschaftlichen Namen Latrodectus, beißt selten ein Opfer aus Aggression – normalerweise stellt sie sich tot, außer es gibt keinen anderen Ausweg. Die nordamerikanische Variante mag kühle, schattige Plätze wie Keller oder Garagen und hat einen glänzend schwarzen Leib, mit einem charakteristischen roten Fleck in Form einer Sanduhr auf dem Rücken.

α-Latrotoxin ist hierbei das Schlüsselprotein im Gift der Witwe und hat einen faszinierenden Wirkungsmechanismus. Es fügt sich in die Plasmamebran von Motorneuronen ein, wodurch es eine künstliche Pore bildet, durch die Calcium einströmt, was zur Ausschüttung von Neurotransmittern führt. Dies hat eine Überstimulation der Muskeln zu Folge, was bei der Beute der schwarzen Witwe zur Lähmung führt.

Das Protein wird zunächst als cytosolisches Vorläuferprotein in sekretorischen Epithelzellen der Giftdrüsen synthetisiert. Von dort wird es über holokrine Sekretion - ein Mechanismus, bei dem die Zelle ihre Membran aufplatzen lässt - freigesetzt und von mehreren Proteasen modifiziert. Im giftigen Zustand bildet es ein Tetramer. So erinnert es an eine “vier-fingrige Kralle” (Chen et al. Nature Communications, 2021), welches mit neuronalen Membranrezeptoren interagiert, um die Pore zu bilden.

-Robin Schäper

 

Das Wintersemester beginnt - macht mit!

Wir starten ein weiteres Semester mit Nachrichten, Wissenschaftsjournalismus und Literaturempfehlungen auf den IFIB-Toiletten.

Unser Team besteht derzeit hauptsächlich aus zwei Personen. Da wir in den arbeitsreichen Tagen des Biochemiestudiums nicht immer Zeit haben werden, suchen wir aktiv nach Leuten, die das Toilettenpapier mitgestalten wollen.

Wenn du dich für Wissenschaftsjournalismus, Interviews mit Forschern, populärwissenschaftliche und Science-Fiction-Bücher interessierst, wenn du uns beim Editieren, Layouten und Übersetzen helfen möchtest oder wenn du einfach gerne über das schreibst, was dich begeistert, dann komm zu uns!

Wir treffen uns jeden Mittwoch um 16:00 Uhr in Raum 4X38.

-Robin Schäper

 

Literaturempfehlung: Der Mann der seine Frau mit einem Hut verwechselte

Das Gehirn ist faszinierend. Es steuert die grundlegendsten Körperfunktionen, verarbeitet Eindrücke aus unserer Um- und Innenwelt, lässt uns dazulernen und erfinden und noch vieles mehr. Das meiste davon passiert wie nebenbei und wird als selbstverständlich angesehen. Zumindest so lange, bis das Gehirn nicht mehr ordnungsgemäß arbeitet.

Eben solche Fälle behandelt Oliver Sacks in seinem Buch Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte. Sacks, seinerzeit Professor für Neurologie und Psychiatrie an der University of California, erzählt in 24 Kurzgeschichten von Patienten aus seinem Arbeitsalltag als Neurologe. Von einer jungen Frau ohne eigenen Körper, einer alten Straßenkünstlerin, die rasend schnell Passanten exakt imitiert und nicht zuletzt einem Sänger, der nicht nur seine Frau mit einem Hut verwechselt. Sie alle besitzen physische Veränderungen oder Verletzungen des Gehirns, die sich in erstaunlichen Veränderungen der Wahrnehmung und Fähigkeiten zeigen. Einfühlsam, humorvoll und trotzdem wissenschaftlich schreibt Oliver Sacks über die verschiedensten Schicksale und Symptome. Das Buch erzählt die Geschichte von Menschen, die außerhalb der „Normalität“ leben und erklärt, wie es cerebral überhaupt dazu kommen kann. Eine erstaunliche Schnittstelle zwischen Psyche und dahinterstehender Neurobiologie und eine große Empfehlung.

-Simeon Reichert